Geschichte

Singe, wem Gesang gegeben… 150 Jahre Martinskirchenchor


Der Stadtmusikus Streich war eigentlich für die städtische Musikkapelle eingestellt und wurde auch dafür bezahlt. Diese „Kapelle" war nicht groß (vier bis sechs Mann), und da man jeden Sonntag in der Kirche auftrat, konnten Chor und Kapelle nicht viel üben. Es darf uns also nicht wundern, wenn wir in den folgenden Berichten an das Dekanat kritische Urteile lesen („Mangel an mitwirkenden Kräften", „Produktionen selten gelungen und tragen zur Erbauung der Gemeinde wenig bei".)

Das ändert sich, als 1878 der Reallehrer Brucker und nach ihm Oberlehrer Holder die Leitung übernimmt. Jetzt ist der weibliche Anteil der Chormitglieder größer und die Leistungen „verdienen alle Anerkennung". Aber: man singt und musiziert nur noch an Festtagen. Dem damaligen Pfarrer Traub war das anscheinend zu wenig, doch jedem Chormitglied ist klar: die Qualität des Dargebotenen wurde auch deshalb höher, weil der Chor nun mehr Zeit um Üben hatte.

Entscheidend für das Musikleben in der Stadt aber war die Einstellung des Musikdirektors Richard Strecker. Nun steht im Dekanatsbericht 1911 „An Festtagen singt der Kirchenchor, der Hervorragendes leistet". Kein Wunder, denn Richard Strecker wagte sich an die großen Oratorien, die bisher in der Stadt noch nie gehört worden waren: an „Messias", „Paulus", an die „Schöpfung", die „Jahreszeiten", die Bach’schen Passionen, das Weihnachtsoratorium. Den „Messias" hat er sogar 1909 in Stuttgart mit Chor und Orchester aufgeführt; und mit ihm sich in den Ruhestand 1935 verabschiedet.

Sein Nachfolger Hermann Stern blieb leider nur zwei Jahre, einer der ersten hauptamtlichen Kirchenmusiker in der Provinz. Es war eine kirchenmusikalische Blütezeit. Doch hatte man auch in Stuttgart dieses „Goldstück" entdeckt und wünschte ihn als Landessingwart. So ließ man ihn – sehr ungern –ziehen!

Eine kurze Zeit hat ein junger Musikstudent aus Sachsen, Horst Hessel, den Chor dirigiert; nach seiner Einberufung 1941 (es war Krieg) trat an seine Stelle eine Ebingerin: Dora Haule. Sie war eine gesuchte Konzertsängerin und Klavierpädagogin und hatte 1936 einen weiblichen „Singkreis" gegründet. Nun wurde dieser mit dem Kirchenchor zusammengelegt. Unter ihrer festen Hand blühte der Chor nach dem Krieg auf. Sie scheute nicht vor großen Oratorien zurück – nur ließ sie die Aufführung dann von ihrem Balinger Kollegen Gerhard Rehm sen. dirigieren; sie sang lieber den Alt-Part.

1961 trat der junge Gerhard Schmid an ihre Stelle. Gerhard Schmid war schon seit 1954 als Organist an der Martinskirchenorgel tätig. Er gründete einen Kinderchor, später die „Junge Kantorei: Seine „Stunden der Kirchenmusik" wurde ein Markenzeichen seines Wirkens.

Gerhard Schmid entschwebte 1971 nach Freudenstadt; nun kam Brigitte Wendeberg als Kirchenmusikerin nach Ebingen (seit 1973). Seither trägt die Kirchenmusik in der Stadt ihre Handschrift mit „Spatzenchor", „Kinderchor", „Junger Kantorei", „Kammerchor" – neben dem Kirchenchor und dem Organistendienst. Eine Vielzahl großer Chorwerke wurden seither in der Martinskirche aufgeführt – Glanzlichter der Musik allesamt. Besonders glücklich war ihre Idee, die „Marktmusik" in der Kapellkirche ins Leben zu rufen – ursprünglich zur Finanzierung der Martinskirchenorgel gedacht, ist sie schon längst zum Selbstläufer geworden.

150 Jahre also singt schon der Chor – zur Ehre Gottes. Wie viele hundert Auftritte es schon gewesen sein mögen? Hoffen wir, dass es mindestens noch einmal so viele werden!

Wilhelm Maute


Kirchengesang"

Aus den Pfarrberichten der Kirchengemeinde Ebingen an das Dekanat 1845 bis 1911

1845:

Der Gesangsunterricht und die dadurch bezweckte Verbesserung des Kirchengesangs wird in der Schule fleißig betrieben. Bei den öffentlichen Gottesdiensten sollte der Gesang noch sanfter werden.

Pfr. Schauffler

1859:

Ein Singchor, vom Stadtmusicus  (Johann Jakob Streich) zum Teil belohnt, bestehend aus verheirateten Bürgern, Kehrer (?) und Mädchen trägt jeden Sonntagunter Begleitung der Kirchenmusik kirchliche Musikstücke vor.

Pfr. Hochstetter

1869:

Kirchengesang: Derselbe ist befriedigend, nur müssen die Schüler zur Mäßigung ihrer Stimmen angehalten werden.Ein ständiger Singchor ist zwar nicht vorhanden, doch beteiligen sich Schüler und Erwachsene bei der von dem  Stadtmusikus geleiteten Kirchenmusik, welche übrigens unter dem Mangel an mitwirkenden Kräften und an feinerer musikalischer Bildung des Direktors zu leiden hat.      

Pfr. Finkh

(Bei Gottlob Fr. Hummel „Geschichte der Stadt Ebingen“ – 1923 – kommt der Stadtmusikus Streich besser weg. Er nennt ihn einen „Musiker von Gottes Gnaden“, der seine Kunst bei der Fürstlichen Hofkapelle zu Hechingen und in Stuttgart als Militärmusiker gelernt habe und es hätte kein Blas- und kein Streichinstrument gegeben, das er nicht spielen konnte.  Virtuos sei er auf der Violine, Flöte und Klarinette gewesen. Er hätte es in puncto Musika sehr scharf genommen. Ein zu frühes Einsetzen, ein Übersehen der Pause, ein falscher Ton - - - - und schon sei der Taktstock dem Missetäter aufs Schädeldach geflogen.

„Gottlieb, sei lieber still!“ bekam der Nestor der Kapelle zu hören, wenn dieser nicht spurte. Und einer  Sängerin ins Gesicht:„Du kannst ruhig wieder daheim bleiben; mit deinem Gesang ist es nichts!“ Vielleicht ist das ein Grund, warum der Kirchenchor in seinen besten Zeiten nur etwa 20 Leute umfasst hätte, darunter ganze 2 – 3 Damen. Und die „Kapelle“ „mit knapper Not 4 – 6 Mann“ einschl. Stadtmusikus. Immerhin hätte er Teile des „Messias“  aufgeführt.

1871:

Kirchengesang: Derselbe ist im Allgemeinen ordentlich. Beim Gemeindegottesdienst singt eine Anzahl erwachsener Gemeindeglieder im Verein mit einer Anzahl von Knaben unter Begleitung von Instrumentalmusik, zu welchem Zweck ein besonderer Stadtmusikus angestellt ist. Diese Produktionen sind aber selten gelungen zu nennen und tragen zur Erbauung der Gemeinde, die in der Mehrzahl erst erscheint, wenn die Produktion vorüber ist, wenig bei.

Pfr. Traub

1873:

Der Kirchengesang ist im Allgemeinen befriedigend. Die Schuljugend wird durch Einübung der vorgeschriebenen Choräle für denselben tüchtig vorbereitet. Ein Singchor aus Erwachsen en  und Kindern besteht – in Verbindung mit der unter Direktion eines Stadtmusikusses Streich  stehende Kirchenmusik, die aber wenig zur Erbauung der Gemeinde beiträgt, vielmehr mitunter schuldig daran ist, dass die Meisten erst sehr spät zur Kirche kommen, wenn es längst ausgeläutet hat!

Pfr. Traub

(Pfarrer Traub geht nicht nur mit dem Stadtmusikus, sondern auch mit der ganzen Gemeinde sehr kritisch um. Vielleicht war er zu lange in Ebingen,)

1877:

 (zum „Kirchenchor“)…. dessen Leistungen aber gering sind.

 Pfr. Traub

1880:

Der Kirchengesang ist in befriedigendem Stand. Seit zwei Jahren hat sich unter der Direktion von Schullehrer Brucker ein gemischter Kirchenchor gebildet, dessen Leistungen alle Anerkennung verdienen. Derselbe lässt sich aber bloß an Festtagen hören.

Pfr. Traub

1882:

Der  Kirchengesang ist befriedigend. Es besteht  unter der Direktion von Schullehrer Holder ein gemischter Kirchenchor, dessen Leistungen Anerkennung verdienen. Derselbe lässt sich nur an Festtagen hören. Dagegen ist die gewöhnliche Kirchenmusik von einem hierfür besoldeten Stadtmusikus, bestehend aus einem Blasmusikquartett, ohne Gesang etwas Klägliches.

Pfr. Traub

1885:

Mit dem Kirchengesang ist es gut bestellt. Die Ebinger sind ein sangbares Volk. Es besteht ein Kirchenchor aus Erwachsenen unter Leitung des Schullehrers Holder, der sich viel Mühe gibt und auch Ordentliches leistet. Aber der Chor, der an Festtagen und besonderen sonstigen feierlichen Gelegenheiten singt, ist zu groß und weil er auch zweifelhafte Persönlichkeiten in sich aufgenommen hat, haben sich alle Töchter aus den besseren Häusern davon zurückgezogen. Die jammervolle Kirchenmusik wurde abgeschafft.Es wird nur noch der  Gemeindegesang mit Posaunen begleitet. Man hofft, dass der Stadtmusikus sein Amt niederlegt und ein Musikdirektor angestellt wird.

Pfr. Jehle

1887:

 (zum Chor)  …Die Leistungen sind nicht übel, entsprechen aber der Mühe nicht, weil die Leute zu unregelmäßig kommen.

 Pfr. Jehle

1892:

Der Kirchengesang ist ordentlich, nur ist an trüben Tagen das Lied (im Gesangbuch) kaum zu lesen. Deshalb müssen (an solchen Tagen) nur bekannte Lieder gewählt werden.

Pfr. Jehle

1911:

Der Gemeindegesang klingt voll und rein. An Festtagen singt der Kirchenchor, der Hervorragendes leistet. (Seit  1898  unter der Leitung von Musikdirektor Richard Strecker sen. Er wurde je zur Hälfte von der Stadt- und von der Kirchengemeinde bezahlt! Der Musikdirektor leitete den Kirchenchor, die „Eintracht“, die Stadtkapelle, die er durch Streicher ergänzte und erteilte auch in der Real- und Oberrealschule Musikunterricht. Strecker führte auch Oratorien auf. So hörte man in Ebingen zum ersten Mal das Weihnachtsoratorium und die Matthäuspassion. Mit dem„Messias“ sind die Ebinger (Chor und Orchester) vor dem erstenWeltkrieg  auch in Stuttgart aufgetreten.            

                        Pfr. Scholder